Unser Alltag
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Der ganz normale Wahnsinn oder einfach gesagt: Unser Alltag!

Es ist oft schwierig zu beschreiben wie Evans Autismus Erkrankung unseren Alltag bestimmt. Wenn ich Evan ansehe, sehe ich auch nicht die Erkrankung sondern ich sehe ein einzigartiges und besonderes Kind mit einzigartigen und sehr besonderen Bedürfnissen. Heutzutage ist es allerdings schwierig diese Bedürfnisse ausleben zu können. Ich bin mir darüber im Klaren, dass sich auch Evan an bestimmte Regeln halten muss. Ich versuche aber diese Regeln so weit es geht auszuweiten. E2015-07-27 12.03.37van soll sich im Leben zurecht finden. Er soll und braucht aber nicht gesellschaftskonform sein. Der Autismus gehört zu ihm und zeichnet ihn aus. Er ist Teil seiner Persönlichkeit und diese möchte ich nicht verändern. In den Beispielen anbei versuche ich einen kleinen Einblick in unseren Alltag zu geben. 

Evan liebt sein Gummibärchen und seine Kikaninchen. Meistens sind sie mit dabei, wenn wir das Haus verlassen. Manchmal muss aber auch noch das Bobbycar oder sein Laufrad mit, ansonsten können wir nicht losfahren. (Es gibt Tage, da können wir wirklich nicht losfahren, da ich Evan nicht überreden kann in seinen Kindersitz zu gehen). So ziehen wir dann von dannen. Das bedeutet, dass das Auto vor dem Einkauf eigentlich schon voll ist – ich habe einen Kleinwagen. Wenn der Rehabuggy dann auch noch im Kofferraum ist, sieht es schon fast so aus, als ob wir in den Urlaub fahren. Mittlerweile haben unsere Nachbarn verstanden, dass wir nur kurz einkaufen fahren und leider gleich wieder kommen.

Wenn Evan und ich einen Raum, den Supermarkt, ein Kaffee oder das Schwimmbad betreten wird es sehr laut und manchmal fühlt es sich so an, als ob wir alle Blicke auf uns IMG-20150919-WA0035ziehen. Zumindest dann, wenn Evan mal wieder etliche Weinflaschen bei Aldi zu Bruch bringt oder meine Rosen an der Kasse sorgfältig zerpflückt. Einer meiner vielen Strategien ist das Singen. Evan liebt Musik und daher habe ich das Gefühl, dass ihn mein Singen beruhigt. Zumindest höre ich ihn dann nicht mehr ganz so laut schreien und das beruhigt mich dann wiederum. Am Liebsten spielt Evan Gitarre –  egal wo wir gerade sind. Er besaß schon weit mehr als 6 Holzgitarren. Da Evan aber ein richtiger Musiker ist, zerstört er seine Gitarren recht zügig. Allerdings ist schnell für Ersatz gesorgt. Denn Klobürsten (ungenutzt versteht sich), Haarbürsten, Pfannen, Fliegenklatschen etc. haben zum Glück alle die gleiche Form und können ebenfalls zu Gitarren umfunktioniert werden – mir ist früher gar nicht aufgefallen, was alles die Form einer Gitarre hat. Ich kann immer noch nicht fassen, dass viele Menschen wirklich glauben, dass ich meinen Sohn mit einer benutzen Klobürste spielen lasse!

Wenn ich mit Evan spiele, geht es meistens darum wie ich Gegenstände halte. Wenn wir Gitarre spielen, geht es eigentlich mehr darum, wie ich die Gitarre halte. Es muss immer genau identisch sein, ansonsten ist das Spiel vorbei; und das Spiel ist meistens sehr schnell vorbei. Klavier spielen Evan und ich auch sehr gerne. Allerdings darf ich immer nur das gleiche Lied spielen: Freude schöner Götterfunken. Das kann ich mittlerweile richtig gut. Sehr zum Leidwesen unserer Nachbarn. Wiederholungen und Reihenfolgen sind für Evan sehr wichtig.  Egal ob wir zusammen rutschen, Trampolin springen oder mit seiner Kugelbahn spielen, die Reihenfolge & Wiederholungen sind nicht zu vernachlässigen.

Evan hat eine Vorliebe für alles was sich dreht. Auto- oder Fahrradräder, die Räder eines Einkaufswagens. Am Meisten aber liebt Evan Waschmaschinen. Diese schafft es sogar, dass Evan mal für gute 30 Minuten bei ihr sitzt und ihr beim Waschen zuschaut oder einfach selber wäscht, indem er fleißig und hochkonzentriert die Trommel dreht, in einer bestimmten Reihenfolge versteht sich.

Wenn wir in unser Lieblingskaufhaus gehen, fährt Evan am Liebsten Rolltreppe. Eigentlich fahren wir nur Rolltreppe, wenn wir in unser Lieblingskaufhaus gehen.

Evan liebt Schokolade und Süßigkeiten, egal auf welchen Tellern sie sind. Diese Tatsache und das Evan leider nicht länger als genau 5 Sekunden sitzen bleibt, sind die Gründe warum Restaurantbesuche bei uns immer sehr kurz sind. Mittlerweile ist unsere Auswahl an Kaffees oder Restaurants sehr geschrumpft. Eigentlich gehen wir nur noch zu McDonald, und dort fahren wir durch.

Evan und ich haben einen Lieblingswald, wo wir sehr gerne spazieren gehen oder Evan Laufrad fährt. Leider dürfen wir immer nur den gleichen Weg gehen. Seit knapp 2 Jahren.

Evan schwimmt sehr gerne. Er liebt Wasser. Egal welches, ob See, Fluss, Pfütze, Teich oder Regentonnen. Wenn er Wasser sieht, will er hineingehen. Leider lassen Evan meine Argumente, nicht in jedes Gewässer zu jeder Jahreszeit gehen zu können, kalt. Ich habe ihn schon aus etlichen Teichen oder Regentonnen holen müssen.

Mit Vorliebe schmeißt Evan Gegenstände in die Luft oder auch von der Treppe, ganz egal wo wir sind. Am Liebsten mag er zerbrechliche Gegenstände, da diese so schön laut sind, wenn sie den Boden berühren. Meine Heißklebepistole ist mittlerweile mein bester Freund zu Hause geworden. Ich glaube es gibt fast keinen Deko-Gegenstand mehr, der nicht geklebt wurden ist und das sieht man ihnen leider auch an. Neuerdings hat er auch das Autofenster für sich entdeckt. Nachdem Evan auf der Autobahn angefangen hatte,  Gegenstände aus dem Fenster zu werfen, habe ich sehr schnell erkannt, dass ich meine Fensterkurbel abbauen muss. Evans Spitzname ist übrigens Bam Bam (der kommt aus der Serie Familie Feuerstein & hat auch immer gerne viel Lärm und Krach gemacht).

Evan ist, was seine Freunde betrifft, nicht gerade zimperlich. Meistens laufen sie vor ihm weg. Leider mag Evan dieses Spiel und freut sich, wenn sie schreien.

Evan imitiert sehr gerne und sehr viel, aber leider auch sehr genau. Den Nachbarsjungen sowie den Nachbarshund inklusive Beinchen heben und aus der Pfütze trinken. Nein, das erlaube ich ihm natürlich nicht. Allerdings lässt sich Evan sehr ungern etwas verbieten.

Evans Lieblingsgebärde ist fertig. Evan ist allerdings der festen Überzeugung, dass wenn er diese Gebärde benutzt, auch wirklich gleich – sofort –  alles fertig sein muss. Die Gebärde Warten kennt er noch nicht.

Anstehen und Warten existieren in Evans Welt nicht. Eine Warteschlange ignoriert Evan gekonnt und am Liebsten würde er in das schon laufende Fahrgeschäft springen. Viele Leuten finden das süß und viele Leute finden das blöd. Ich treffe meistens auf Letztere.

In unserem letzten Italien Urlaub habe ich die Eltern beneidet, die auf ihren Liegen lagen und in Ruhe ein Buch gelesen haben, während ihre Kinder vor ihnen spielten. Ich war diejenige, die hinter ihrem Sohn hergelaufen ist und die Schuhe und Handtücher fremder Urlauber aus dem Pool gefischt hat. Das ist nämlich neben – Gegenstände, die Treppe runter schmeißen – auch eine seiner Lieblingsbeschäftigungen.

Ich könnte jetzt noch einige Situationen erzählen oder Beispiele für unseren ganz normalen Wahnsinn nennen… Natürlich geht es mir oft nicht gut, wenn ich in einer dieser Situationen bin. Ich bin kaputt, müde und manchmal auch einfach nur genervt und traurig. Aber so anstrengend und skurril unser Leben & Alltag auch ist, es ist unser Leben. Und ich mag unser Leben und ich liebe meinen Sohn und seine Art, Dinge zu betrachten und wahrzunehmen.

Ein behindertes Kind ist wie ein krummer Baum. Du kannst ihn nicht gerade biegen, aber du kannst ihm helfen Früchte zu tragen.

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Mein Sohn ist 5 Jahre alt und ist mit einem schweren Herzfehler, HLHS, auf die Welt gekommen. Mit 3 Jahren haben wir die Diagnose frühkindlicher Autismus erhalten. Auf diesen Seiten möchte ich etwas aus unserem Leben, seinen Therapien und unserem Alltag erzählen, der nicht immer leicht aber dafür auch nie langweilig ist. Mein Sohn und ich lieben das Leben, denn das Leben ist schön!

4 Kommentare

  1. Barbara sagt

    Lieber Marcella, ich finde echt toll, wie ihr euren Alltag meisterst und wie du die Kraft aus deiner Liebe zu Evan schöpfst! Und als Nachbarin muss ich hier mal sagen, dass ich euch sehr gerne hier habe und mich der im Garten spielende, oft auch unüberhörbar, Evan gar nicht stört! Ich bin froh, euch zu kennen und dadurch mehr über Menschen zu erfahren und ich denke niemals, das ihr leider schon bald vom einkaufen zurück seid!
    Du schreibst das hier wirklich toll, ganz liebe Grüße von Barbara

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  2. Ingrid Friedrichs sagt

    Liebe Marcella,
    Der Spruch: keine Schuld ist dringender, als Danke zu sagen. Der passt zu Dir. Du hast Dich immer bedankt und Du lässt auch zu, dass man Dir hilft. Es ist schwierig, mit Menschen umzugehen, die keine Hilfe annehmen können.
    Ich bin so froh, dass wir uns im letzten Jahr entschieden haben, Dich in unser kleines Team zu holen, sonst hätten wir nie erfahren, was für eine mutige und lebensbejahende Frau Du bist. Alle Schwierigkeiten nimmst Du an und verbreitest so viel gute Laune und Lebensfreude, die allen zugute kommt. Und wenn Du über Deinen
    Sohn sprichst, merkt man Dein Glück, das Du empfindest, ihn zu haben und wie Du Dich freuen kannst, wenn er auf dem Handfeger Gitarre spielt oder wenn er seine Musik hört… Er kann froh über seine Mama sein; durch ihn hast Du Deinen Mut und Deine Stärken gefunden.
    Wenn ich Deine Berichte lese, auch wenn Du sie erzählt hast – ohne Selbstmitleid – da bekomme ich schon Atemnot, was Du alles so schaffen musst – schon so ein harmloser Einkauf – immer auf der Hut zu sein, in jeder Situation und oft angegriffen zu werden – dazu gehören gute Nerven und Zuversicht und Menschen, die Dich unterstützen. Und das wünsche ich Dir weiterhin, viele, liebe und verständnisvolle Menschen und weiterhin so viel Mut und gute Laune.

    Ich habe ja selber mit meinen beiden Kindern viele, solcher Erfahrungen gehabt. Wenn das Kind verunglückt und Glatze hat wegen einer Hirnoperation – wie taktlos viele reagieren, und trotzdem habe ich auch durch beide Situationen, die unterschiedlich waren, ganz viele, schöne zwischenmenschliche Erfahrungen gemacht, die ich nie missen möchte, mit Menschen, von denen ich das nie erwartet hätte. Und, dass es sich lohnt zu kämpfen, nicht gegen die anderen, sondern für sich und seine Kinder. Ich habe dadurch meine Stärken und die Hilfsbereitschaft anderer kennengelernt. Egal, was kommt, es gibt immer eine Tür, die sich lohnt, zu öffnen.

    Deine Seite finde ich sehr informativ, alle ungeduldigen – wie ich es häufig bin (wenn ich wieder mal in der falschen Schlange am Supermarkt stehe) und genervten Menschen sollten Deine Seite lesen und vielleicht eine lange Schlange an der Kasse, an der roten Ampel, als Anlass nehmen, dass man beobachten kann, dass man nachdenken kann und auch abschalten (was ich natürlich nicht immer schaffe) alles was Du nicht oft kannst, weil Du gerade in der Welt Deines Sohnes bist: Willkommen in Holland!!! Da ist es eben anders schön!!!!
    Liebe Grüße, Deine Ingrid

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  3. Hallo ich bin auf Euch grade ehr durch Zufall in Facebook gestolpert . Einige Punkte kommen mir so schrecklich bekannt vor. Mein Sohn ist stellenweise genauso. Naja Früher war das mal anders , aber seitdem er den KINDERGARTEN besucht, hat sich vieles geändert. Dort ist er nur der oder der andere, das Kind, was nur 1,5 Stunde am Nachmittag kommen darf. Er spielt schon sehr gerne mit den anderen , doch ist ihm das auch wiederum zuviel. Wenn die anderen kinder dann weg rennen , versteht er das als Spiel, und rennt hinter ihnen oft auch mit Geräuschen. Schlange stehen abwarten oder sitzen bleiben ist ihm auch fremd, dabei war es mal anders. Auffällig war halt nur, dass er erst nie mit fremden Sprechen wollte. Wie du es bestimmt kennst, wird man ständig mit seinem Kind so seltsam angesehen, in der Kita sind wird nicht gerne gesehen. Es steht uns auch noch einen kita wechsel bevor, darauf freuen sich bestimmt die kinder in der jetzigen Einrichtung. Dort sind sie noch nicht Tolerant genug, um mit Inklusion Kinder und ihre Besonderheiten akzeptieren, Ausgrenzung und Verachtung , aber besonders Großzügig. Wir finden immer noch zu wenige Menschen die es wie uns ergeht, ich bin seitdem er die Einrichtung besucht , nur noch müde und weiß nicht mehr ein oder aus . Vielleicht magst du ja mal schreiben

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    • Liebe Susanne! In was für einen Kindergarten geht Dein Sohn denn? Evan geht in eine heilpädagogische Gruppe mit nur 6 Kindern und 3-4 Erziehern. Dort ist er wirklich sehr gut aufgehoben und ist voll integriert. Es ist so wichtig etwas passendes zu finden, damit es Dir und Deinem Sohn gut geht. Vielleicht magst Du mir unter Kontakt eine E-Mail schicken. Liebe Grüße, Marcella

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